Kein Richter kümmert sich um Kissinger

Von der Vergangenheit eingeholt, doch unberührt: Ein Friedensnobelpreisträger, für den Mord Methode war

Osama bin Laden ist wegen tausendfachen Terrors dem Tode geweiht, Jugoslawiens Exstaatschef Milosevic sitzt wegen Menschenrechtsbruch vor seinen Richtern in Den Haag und Henry (Heinz) Alfred Kissinger ist ein Ehrenmann.

In jeder biografischen Sammlung ist nachzulesen, wie geachtet der heute 79-jährige Henry Kissinger als Hochschullehrer und Politiker ist. Für seine Vermittlertätigkeit, die zum Ende des Vietnamkrieges führte, hat man ihm 1973 sogar den Friedensnobelpreis zugedacht. Er war bei Umfragen mehrmals zum »am meisten bewunderten Amerikaner« gewählt worden und gilt als einer der erfolgreichsten Diplomaten der USA-Geschichte überhaupt. Wie kann man da behaupten, der einstige USA-Sicherheitsberater und Außenminister, der so clever war, dass er Demokraten wie Republikanern nicht nur nacheinander sondern gleichzeitig dienen konnte, sei verantwortlich für Lüge, Hinterlist und Mord? Ganz einfach - indem man Akten wälzt und Zeugen fragt.
Kissinger ist die Antwort auf die Frage, warum die USA sich so vehement gegen einen internationalen Strafgerichtshof stemmen. Als Juristen in Chile, Frankreich, in Spanien und Argentinien gegen den Diktator Pinochet ermittelten, da wollten sie den früheren Stardiplomaten zumindest als Zeugen hören. Keine Frage, dass Kissinger ihnen statt Informationen einen Korb gab. Dabei hätte er wie kein zweiter erzählen können, wann er was wo angeordnet hat. Beispielsweise den Mord an dem chilenischen Armeechef René Schneider. Im November 2000 hat der damalige USA-Präsident Bill Clinton Akten der CIA und der Regierung freigegeben, die belegen, dass Kissinger seine Hände im Mörderspiel hatte. General Schneider stand den Umsturzplänen gegen die sozialistische Regierung im Wege. Mörder waren schnell gedungen, wozu schließlich hatte die CIA die profaschistische Organisation »Vaterland und Freiheit« aufgebaut? Das Blutgeld überbrachte der damalige USA-Militärattaché in Santigao, Oberst Wimert. Wenn Kissinger seine Rolle beim Mordkomplott abstreite, so sei er eben nur ein »Lügner«, sagt der Militärdiplomat vor laufender Kamera. Das war vor fast zwei Jahren. Doch die USA-Justiz sieht sich noch immer nicht zu einem Strafverfahren aufgefordert. Deshalb versucht die Familie des ermordeten Generals in den USA per Zivilgerichtsverfahren Schuld feststellen zu lassen.
Als die Pinochet-Junta drei Jahre nach dem Schneider-Mord die Demokratie im Blut Zehntausender Volksfront-Anhänger ertränkte, reiste Kissinger nach Santiago, um öffentlich über die Wahrung der Menschenrechte zu reden. Im Vier-Augen-Gespräch mit dem Diktator gab er diesem freie Hand. Zusätzlich wies Kissinger die USA-Botschaft in Chile an, keinerlei Druck auf die Pinochet-Regierung auszuüben.
1975 war eine Untersuchungskommission des Senats zu dem Schluss gekommen, dass die USA den Putsch unterstützt hatten. Vor dem Ausschuss hatte Kissinger beteuert, bereits im Oktober 1970 sei die Hilfe für die rechten Paramilitärs in Chile eingestellt worden. Nicht einmal diese Falschaussage wird dem Mann, der die Putsch-Operation »Djakarta« leitete, angekreidet. Als gesichert gilt die Existenz der Operation »Condor«, eine Absprache der Diktatoren Südamerikas mit den USA, zur Ausschaltung von Regimegegnern. Weltweit agierende Killer spürten Regimegegner auf und brachten sie um. Den ehemaligen Außenminister Allendes, Orlando Letelier, ermordeten sie gar in den USA. Kissinger hat dagegen zumindest nichts unternommen.
Und auch in Südostasien gibt es genügend Gründe, den »Friedensbringer« anzuklagen. Er war es, der die USA-Militärs anwies, Vietnams Nachbarstaaten in den Krieg einzubeziehen. Er billigte so genannte »Killing Fields«, in denen die USA-Soldaten wahllos morden konnten. USA-Experten rechnen, dass von den zwei Millionen allein mit dieser Taktik umgebrachten Vietnamesen nicht einmal zehn Prozent mit der Befreiungsfront oder der Armee des Nordens verbunden waren. Als Zeugen könnte man Roger Morris, einen von Kissingers Mitarbeitern im Nationalen Sicherheitsrat, aufrufen, der bereits vor einem guten halben Jahr dem WDR-Reporter Wilfried Huismann bestätigt hat: Kissinger ist ein Kriegsverbrecher.
Doch Kissinger, der 1938 mit seinen Eltern aus Deutschland auswanderte, um der Judenverfolgung, die im entsetzlichen Holocaust mündete, zu entkommen, gilt auch hier zu Lande als honoriger Mensch. In der Geburtsstadt Fürth beispielsweise wurde er (siehe d...

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